Vorwort
Den folgenden Bericht habe ich kurz nach PBP verfasst und veröffentlicht. Klar wusste ich in etwa, was ich damals geschrieben hatte. Allerdings sind die Erinnerungen in sechs Jahren doch etwas verblichen. Vor dem Einstellen habe ich den Text also das erste Mal wieder gelesen. Dabei bin ich irgendwie über mich selbst und über die Art und Weise wie ich damals gefahren bin, etwas erschrocken. Ich möchte mich jetzt nicht davon distanzieren. Nein. So war es eben damals und ich glaube, ich kann auch zu Recht ein wenig stolz darauf sein. ABER, ich bin weder 2019 PBP so gefahren, noch würde ich jemals wieder PBP so fahren. Viel mehr möchte ich eigentlich die Leute dazu animieren, die Brevets zu genießen. Nicht nur PBP, auch die Brevets die ich hier organisiere. Die wirklichen Erlebnisse und Geschichten erlebt man, in dem man anhält und Leute trifft.
Paris - Brest - Paris 2015
Zum ersten Mal von Paris – Brest – Paris erfahren hatte ich 2011. Ich hatte gerade angefangen mit Rennradfahren und bereitete mich mit einem Freund auf die Fichkona vor. Dieser erzählte mir dann von den Brevets, welche er gern als Vorbereitung fahren würde. So kam ich das erste Mal nach Bennewitz und bestritt dort einen 200er und einen 400er. 2011 war gerade PBP - Jahr und es ging hoch her deswegen. Für mich waren damals die 600km der Fichkona schon aufregend und Herausforderung genug. Die 1200km von Paris an die Atlantikküste und zurück konnte ich mir zu dieser Zeit unmöglich vorstellen. Wie kann man so lange im Sattel sitzen, wie ist das mit Essen und Trinken und dazu noch die Frage mit dem Schlafen - Fragen über Fragen ? Dennoch faszinierte mich diese Veranstaltung von der ersten Berührung an. Zuviel wurde mir über PBP während der Brevets erzählt. Die Erzählungen und Berichte die ich danach darüber las, ließen mich nicht mehr los - ich war „angefixt“.
Da PBP nur alle vier Jahre stattfindet hatte ich genügend Zeit mich darauf vorzubereiten. Alles lief prima dieses Jahr, die Brevetserie wurde abgerissen und da ich letztes Jahr einen 1000km Brevet absolviert hatte konnte ich mich gleich am Anfang anmelden. Ich wollte unbedingt in Startblock A gleich am Anfang starten um so wenig wie möglich Zeit an den Kontrollen auf dem Hinweg zu verlieren. Auf Grund der Erfahrungen vom 1000er und auch des 600er von diesem Jahr machte ich mir einen Plan. Eigentlich war er ziemlich simpel. Einen 30er Schnitt hielt ich für möglich, dazu maximal 15 Minuten Standzeit an den Kontrollen und kein Schlaf. Macht alles zusammen 44 Stunden und 15 Minuten. Alles was besser wäre ist gut, alles unter 48 Stunden auch, sagte ich mir.
Hinzu kam natürlich noch die Frage was wird alles mitgenommen, was bleibt da. Da PBP rund 11000hm hat macht sich zusätzliches Gewicht auf die Dauer natürlich ordentlich bemerkbar. Die Wetteraussichten waren hervorragend. Kein Regen, 10 - 23°C, eine leichte Prise aus Nordost, Radlerherz was willst Du mehr ? So blieb die Regenjacke da, eigentlich wollte ich nicht mal die Windstopperjacke mitnehmen ( hätte ich es mal gemacht - sie wurde ungenutzt 1200km spazieren gefahren ) - das war mir dann aber doch zu heiß. Ersatzkleidung blieb auch da, einzig die Warnweste musste mit. So hatte ich ordentlich Platz in meiner Lenkertasche und auch in den drei Trikottaschen. Die Lenkertasche sollte dabei nur als Vorratsschrank für das Essen dienen. Mal abgesehen von der Luftpumpe, der Sitzcreme und vom Handy waren darin beim Start Isotonische Zusätze für die Flaschen, sämtliche Gels die sich im Laufe der Zeit bei mir angesammelt hatten, eine Tüte gesalzene Cashews und ein ganzes Baguette mit Nutella. Die beiden Akkus für Licht und den Garmin konnte ich am Vorbau befestigen, brauchten also keinen Platz in den Taschen. Da der Start um 16:00 Uhr war und es dann gleich in die Nacht ging zog ich die Warnweste vor dem Start gleich an, nur keine Zeit unterwegs vertrödeln war die Devise. Somit hatte ich in den Trikottaschen noch ein Fach lehr ( eins war ja mit der Jacke belegt und eines mit Stempelkarte und Geld ). In diese Tasche kam noch eine Flasche zu trinken. Da es nicht so warm war sollte es also bis zur ersten Kontrolle in Villaines la Juhel bei Kilometer 220 reichen. Den Verpflegungspunkt Mortagne bei 140km wollte ich komplett auslassen.
So gerüstet trafen wir eine halbe Stunde vorm Start am Velodrom ein. Im Startblock A ( circa 250 Leute ) standen wir fast ganz hinten. Das wollte ich so eigentlich nicht, aber schon über eine Stunde für die beste Position anstehen wollte ich auch nicht. Es war schon so genug Aufregung vorhanden. Es war Zeit für nochmal Wasser wegschaffen und eine Luftpumpe besorgen, da ich in der finalen Aufregung vergessen hatte nochmal Luft aufzupumpen. So ging es dann zehn Minuten vor dem Start aus dem Startblock heraus hoch zum eigentlichen Start. Martin und Olaf verlor ich dabei das erste Mal aus den Augen. Nach einer Ansprache ging es pünktlich um 16:00 Uhr los. Die Starts bei meinen bisherigen Brevets verliefen bisher immer sehr ruhig. Der Organisator gibt das Startzeichen und das Feld setzt sich locker in Bewegung, keine Hektik, kein Positionsgerangel. Meist fuhr ich vorn im Wind und war dann, wenn überhaupt, nur mit einigen wenigen Leuten unterwegs. Doch was war hier los ? Ich kam mir vor wie bei einem Straßenrennen. Positionskämpfe, Gerangel - das war nicht so richtig nach meinem Geschmack und hat bei einem Brevet eigentlich auch nichts zu suchen. So ging es die ersten 20 km hinter dem Führungsfahrzeug hoch her. Nur nicht stürzen bei den zahlreichen Verkehrsinseln sagte ich mir, alles andere wird dann schon. Als wir aus den Vororten von Paris raus waren und alles freigegeben war wurde es etwas ruhiger im Feld. Dennoch waren wir sehr schnell unterwegs, für meinen Geschmack etwas zu schnell. Permanent fuhr irgendjemand vor das Feld, machte etwas Druck und viel wieder nach hinten. Kein gleichmäßiges Dahingleiten wie ich das bisher von Gruppenausfahrten erlebt hatte. Das brachte viel Unruhe ins Feld und man musste ständig aufpassen. So beschloss ich, entgegen meiner Vorsätze, mich eher im vorderen Teil des Feldes aufzuhalten. Ich arbeitete mich also nach vorn und es dauerte nicht lange bis ich das erste Mal ganz vorne war. Es war aber harte Arbeit nicht gleich wieder nach hinten durchgereicht zu werden. So vergingen die ersten Kilometer, immer wieder wurde das Tempo angezogen. Mein Puls ging zu oft über 180, viel zu viel an dieser Stelle ! Aber was soll’s, die Beine machten es locker mit und fühlten sich verdammt gut an.
Vor Mortagne nach vielleicht 100 km sah ich dann das erste Mal Fahrer aus dem Block B ( starteten 15 Minuten später ) im Feld. Wow, ich hatte dort schon einen glatten 35er Schnitt auf dem Tacho stehen ! Was sind denn das für Typen ging es mir durch den Kopf ? Das konnte ja lustig werden. Mit dabei war auch der fünffache Race across America (RAAM) - Finisher Marko Baloh. Versuche Ihn zu finden und hänge Dich an Sein Hinterrad bis Paris, waren Roberts Worte. Ich hätte nie gedacht Ihn hier zwischen so vielen Leuten zu finden. Wir wechselten einige wenige Worte und schon waren wir in der Anfahrt zur Verpflegungsstation Mortagne. Hier ging es nochmal richtig heiß her, jeder wollte die beste Ausgangsposition haben um auch schnell an seine Verpflegung zu kommen. Danach fuhr ich langsam weiter, Martin schloss wieder auf mich auf. Ich freute mich Ihn hier wieder zu sehen, hatte ich schon befürchtet dass er zwischenzeitlich abgehängt wurde. Auch er hatte eine dritte Flasche dabei und lies den Verpflegungspunkt aus. Schon bald rollte das Feld wieder mit ordentlicher Geschwindigkeit weiter. Immer wieder fuhr ich ganz vorne im Wind. Es fiel mir leicht, die Beine waren immer noch locker. Immer wieder wechselte ich mich mit Mickael, einem Franzosen der auch das erste Mal dabei war, ab. Mit Ihm konnte ich mich immer wieder mal unterhalten, er sprach sehr gut Englisch und auch Deutsch. Auf dem Weg zur ersten Kontrolle ging mir dann aber doch so langsam das Wasser aus, ein Glück das ( mein Wasserträger ) Martin noch dabei war und er nicht so viel getrunken hatte. Ich konnte seine dritte Flasche haben, was mir sehr half. So kamen wir zur ersten Kontrolle bei 220km in Villaines la Juhel. Was ich hier sah schockierte mich noch mehr als die Fahrt bis hier her. Gefühlt fast alle aus dem vielleicht hundert Mann starken Feld hatte ein Betreuerteam dabei. Den Fahrern wurde bei der Ankunft von einem Betreuer förmlich das Rad aus der Hand gerissen. Dann gab es einen Sprint in die Kontrollstelle zum Stempeln, in Radschuhen !!! Auf dem Weg dahin wurden einigen Fahrern von einem zweiten Betreuer dann noch ein paar Silberlinge in die Trikottaschen gesteckt. Wieder raus standen die Räder mit vollen Flaschen bestückt schon bereit. Außer meines, ich hatte niemanden mit der mich versorgt - „no Support“, wie es die Franzosen sagten ! Zu essen hatte ich noch genug aber meine Flaschen waren leer. Keine Chance so weiter zu fahren , also schnell los und an den Wasserhähnen im Freien schnell die Flaschen aufgefüllt. Als ich zurück kam stand mein Rad als einziges noch da. Ziemlich verlassen und ruhig war es geworden auf der Straße. Was soll’s, ich liege eine Stunde vor meinem Zeitplan, der Weg ist ausgeschildert, mein Navi und Licht funktionieren, das Wetter ist Top. Es gibt keinen Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Du kannst das auch alleine, redete ich mir ein. Und so saß ich wieder auf dem Bock und fuhr mein Tempo. Es dauerte nicht lange und ich sammelte einen Fahrer nach dem nächsten ein. Ich war so gesehen der Besenwagen hinter dem Führungsfeld. Nach circa 15 Kilometern sah ich dann das erste Mal die roten Lichter vom Führungsfeld. Das motivierte ungemein und schon bald schlossen wir auf das Feld auf. Das hatte ich nach dem bisher erlebten nicht erwartet. Ich ruhte mich hinten im Feld etwas aus, aber schon bald wurde mir langweilig, jetzt war es für meinen Geschmack zu langsam. Also fuhr ich wieder nach vorn. Ich traf Mickael wieder und ich erzählte Ihm was ich in der Pause erlebt hatte. Er sagte mir dass beim nächsten Stopp in Fougeres alle 5 Minuten Pause machen wollten, so war es im Feld ausgemacht. Schön dachte ich mir, da habe ich ja doch eine Chance mit allen wieder los zu fahren. Leider sah die Realität dann doch wieder anders aus. Es rannten wieder alle auf Ihren Stöckelschuhen zum Stempeln, das gleiche Theater wie bei der letzten Pause. Hier brauchte ich aber auch etwas zu Essen, die Baguettes waren alle, nur noch Gels da. Als ich an dem Essensstand ankam und die ersten vier Schokocroissants kaufen wollte war man sichtlich überrascht. Ich war wohl eindeutig zu zeitig dran, um diese Zeit wurden wohl nur Leute mit Support erwartet. Nach einer gefühlten Ewigkeit bekam ich dann aber was ich wollte, ich steckte mir die Croissants unters Trikot, füllte die Flaschen auf und rannte hinaus. Wieder war ich der Einzige der noch da war. Na gut, hast Du es einmal geschafft, schaffst Du es auch nochmal und so legte ich wieder los. Mit einer riesigen Wut im Bauch legte ich los. Dieses Mal hatte ich keine Lust auf Besenwagen spielen. Ich knallte durch die Nacht. Dabei überholte ich bestimmt fünf Leute die aber null Chancen hatten mit mir mit zufahren, so schnell war ich. Aber es machte einen riesen Spaß, mir zumindest ! Schnell war das Feld wieder aufgerollt. Diesmal ruhte ich mich aber im Windschatten bis zur nächsten Pause in Tinteniac bei Kilometer 363 aus.
In Tinteniac sah ich die Sache schon etwas gelassener. Es macht keinen Sinn sich abzuhetzen und dabei die Hälfte zu vergessen wenn ich eh nicht so schnell bin wie alle anderen Fahrer. In Ruhe holte ich mir meinen Stempel und kaufte Verpflegung. Auch hier wieder völlig überraschte Gesichter die mit mir noch lange nicht gerechnet hatten. Auch draußen wurde man auf mich aufmerksam, da ist einer der keinen Support hatte. Ein Belgischer Betreuer rief mir hier noch zu ich solle auf seinen Fahrer warten ( der gerade einbog ) um zu zweit weiter fahren zu können. Sorry, aber jemanden der mir am Rockzipfel hängt und nur meinen Windschatten genießen will war das letzte was ich hier gebrauchen konnte. Unter Beifall verlies ich die Kontrolle und jagte dem Feld wieder hinterher. Abermals sollte ich es aufrollen. Ab hier beteiligte ich mich auch wieder an der Führungsarbeit. Die Beine machten immer noch das was sie sollten, also warum nicht etwas für den Schnitt tun. In Quedillac, nach 389km, gab es eine Geheimkontrolle. Kurz rein Stempel holen und weiter. Da ich als erstes drinnen und auch wieder draußen war kam mir kurz der Gedanke schnell weiter zu fahren ohne auf irgendjemanden zu warten. Immer wieder kam es bisher vor das keiner Führungsarbeit leisten wollte wenn ich vorn aus dem Wind ging oder aber das Tempo nach unten ging wenn sich doch jemand fand. Da es doch noch ein ganzes Stück zu fahren war verwarf ich den Gedanken schnell wieder. Bis zur Kontrolle in Loudeac gab es dann immer mal wieder Ausreiser, die aber auch immer wieder gestellt wurden. Vielleicht 10km davor gab es einen letzten Versuch. Zwei Mann waren ein ganzes Stück entrückt. Das Feld wachte auf und es wurde ordentlich Druck gemacht. Es gab einen belgischen Kreisel nur dummerweise als ich dann vorn war kam keiner hinterher. Ich hatte so einen Geschwindigkeitsüberschuss das ich einfach dem Feld davon fuhr. Was jetzt tun, wieder einreihen oder versuchen die zwei Ausreißer und den einen Verfolger einholen. Ich entschied mich für die zweite Variante. Ich fuhr einige Kilometer alleine um dann von Marko Baloh und zwei anderen Fahrern selbst eingeholt zu werden. Super, dachte ich, hättet Ihr nicht etwas eher aufwachen und mitmachen können ? Zu viert ging die Hatz weiter. Der Puls schnellte ordentlich in die Höhe. Hier was es wieder, das Rennfeeling. Pünktlich an der Kontrolle in Loudeac hatten wir die Ausreißergruppe dann auch wieder eingeholt. Das Feld kam vielleicht ein, zwei Minuten später. Gefühlt war die Aktion reichlich sinnlos, aber sie hat endlos Spaß gemacht.
In Loudeac dann wieder dasselbe Spiel wie immer, alle waren versorgt und weg. Nur ich nicht. Abermals fuhr ich hinterher. Aber diesmal hatte ich Glück, nach ein paar Kilometern machte das komplette Feld eine Pinkelpause. Hatte ich mich doch beeilt um nicht zu viel Zeit zu verlieren, so stand ich jetzt da und musste warten. Wieder kamen die Gedanken auf einfach weiter zu fahren. Auf mich hat auch keiner gewartet, warum soll ich jetzt warten, fragte ich mich. Dennoch wartete ich. Zu groß war immer noch der Respekt vor der vorausliegenden Strecke. Also ging es weiter in Richtung Carhaix bei Kilometer 526. Immer wieder war ich vorn im Wind anzutreffen. Es lief nach wie vor gut. Ich war zufrieden. Man merkte aber auch bei einigen schon Verschleißerscheinungen. Das hohe Tempo schien nicht bei allen spurlos vorbei zu gehen. In Carhaix hatte ich dann etwas Glück. Ich hatte noch genug zu essen und brauchte neben dem Stempel nur meine Flaschen aufzufüllen. Super endlich mal nicht hinterher fahren ! Gemeinsam mit allen anderen, es waren jetzt vielleicht noch zwanzig bis dreißig Fahrer, ging es wieder auf die Strecke. Ich vornweg. Wer mich kennt, weiß dass ich gleich nach der Pause immer so meine Probleme habe wieder in den richtigen Tritt zu kommen, so auch hier. Wirklich schnell kann ich also nicht gewesen sein. Es ging durch die Ortschaft wieder hinaus, leicht abschüssig. Keine Ampeln, Vorfahrtsstraßen oder Bahnübergänge wo man vielleicht hätte anhalten müssen. Nach ein paar Minuten fahren drehte ich mich um, keiner mehr da ! Was ist denn jetzt los ? Können sie nicht mehr oder wollen sie nicht mehr oder ist irgendwas passiert ? Gehört hatte ich nichts. Nach kurzem Überlegen entschied ich mich jetzt doch für das alleinige weiterfahren. In meinen Augen hatte es sich schon länger angekündigt. Sollte das jetzt der Wink sein ? Alleine zog ich jetzt meine Spur nach Brest. Eine tolle Landschaft zeigte sich links und rechts der Straße. Dann eine lange Abfahrt vom einzigen „Berg“ ( ist immerhin über 300m hoch ). Immer wieder drehte ich mich um, aber niemand war zu sehen. Das Führungsfahrzeug fuhr vornweg und mit etwas Abstand folgte ich. Kurz vor Brest stand dann das erste Mal das Fernsehen am Straßenrand und filmte mich. So ging das bis zur Kontrolle. Zahlreiche Autofahrer und Passanten am Straßenrand winkten und jubelten mir zu. Es war schon hier ein tolles Gefühl als erster lang zu fahren. Egal wie die Rückfahrt wird, das waren definitiv die geilsten 600km auf dem Rad die ich je erlebt hatte.
Mein Plan sah vor, dass ich in Brest 13:43 Uhr einrolle. Tatsächlich war es aber schon 11:34 Uhr. Über zwei Stunden Zeitvorsprung und ein 32er Schnitt standen zu Buche. Mein eigentliches Ziel von 44 Stunden konnte ich praktisch nicht mehr verfehlen, zu viel hätte schiefgehen müssen. In Brest an der Kontrolle dann wieder das übliche. Großes Erstaunen über einen Fahrer der keinen Support hat. Es war vorerst das letzte Mal das man noch nicht um diese Zeit auf hungrige Fahrer eingestellt war. Leider war die Verpflegungsstelle ewig weit weg, fluchend rannte ich über den riesigen Platz. Ab hier lief die Uhr gegen mich. Aber was sollte ich machen, ich brauchte was zu essen. Mehrere Schokoladencroissants, Bananen und zwei Cola nahm ich mit. Unter staunenden Augen verstaute ich alles am Fahrrad. Mit dabei das Fernsehen, was alles filmte. Die Leute ringsherum waren begeistert. In dem Augenblick als ich dann los wollte kam gerade das Feld angefahren. Es war das letzte Mal das ich es hier sehen sollte. Erst in Paris im Ziel sollte ich einige von Ihnen wieder sehen.
Weiter ging es, wieder aus Brest heraus, aber auf einer anderen Route wie die Hinfahrt. Es dauerte nicht lange und ich kam wieder auf die Strecke der Hinfahrt. Ab jetzt war Gegenverkehr angesagt. Rund 6000 Fahrer sollten mir im Laufe des Tages entgegen kommen. Praktisch habe ich alle gesehen, vom Zweiten bis zum Letzten spät in der Nacht. Interessant war mit was für unterschiedlichen Rädern die Leute unterwegs waren. Vom 20er Klapprad, über 26er Mtb, Trekkingrad bis zum Rennrad, Tandems, ein deutsches Triplet, dreirädrige Rennräder und Tandems, Liegeräder jeglicher Art, Zigarren ( vollverkleidete dreirädrige Liegeräder ) und Räder die eigentlich mehr ein Stepper auf zwei Rädern sind. Das ganze natürlich von neu bis alt inklusive der Kleidung. Fast alle grüßten, winkten mir zu oder hoben den Daumen. Es motivierte mich. Klar wurde zurück gegrüßt, so oft es ging. Ich muss aber auch ehrlich zugeben dass ich etwas froh war, als es dunkel wurde und ich so deshalb nicht mehr jeden grüßen „musste“. Mit der Zeit wurde es anstrengend und nervte dann doch irgendwann mal, bei 6000 Entgegenkommenden. Kurz nach dem Zusammenführen der beiden Streckenteile vor Brest kam mir Martin als erster in einer Gruppe entgegen. Wir schrien uns etwas zu, ohne dass wir es beide verstanden. Egal, ich freute mich, dass er noch so gut in der Zeit lag. Wenn er halbwegs durchhält sollte er unter 50 Stunden locker schaffen, rechnete ich nach. Mit ein paar Minuten Abstand kam mir dann Olaf entgegen. Bist Du erster rief er mir entgegen. Ich brüllte ein lautes JAAAA zurück. So verging die Zeit wie im Fluge. Das Führungsfahrzeug vornweg. Ab und an kam ein Begleitmotorrad vorbei und fragte nach dem rechten. Alles gut soweit. Einer von Ihnen stoppte immer wieder die Zeit zum Verfolgerfeld. Ich hatte den ganzen Tag immer zwischen 18 und 22 Minuten Vorsprung, egal wie lange meine Standzeit an den Kontrollen dauerte. An den Kontrollstellen war natürlich jetzt ordentlich was los. Jede Menge Fahrer, die erst auf der Hinfahrt waren, die irgendwo saßen, schliefen, essen oder einfach nur pausieren taten. Ab hier war man dann auf Kundschaft eingestellt. Bei den meisten Stellen eskortierte mich jemand hinein. Ich brauchte nicht anstehen, sondern konnte gleich vorne an die Schlange ran und Verpflegung kaufen. Ich hoffe das ich hier niemanden zu sehr „auf die Füße getreten“ bin ! Bis auf einen deutschen Fahrer der mich recht barsch angegangen ist waren auch alle sehr verständnisvoll. Sollte sich also jemand von mir schlecht behandelt gefühlt haben, so möchte ich mich hiermit ausdrücklich entschuldigen ! Auch draußen half man mir jetzt die Flaschen zu füllen, Fahrrad halten. Die Leute bildeten immer eine Traube um mich herum stellten Fragen, begutachteten das Rad, machten Fotos oder filmten mich. Egal wo ich hinkam, man konnte es nicht richtig glauben. Gern wäre ich immer etwas länger geblieben und hätte das alles etwas mehr genossen. Jedoch rannte die Zeit unaufhörlich weiter. Immer wieder rechnete ich aus, wie ich in der Zeit lag, wann ich wo bin und was daraus am Ende werden könnte. Klar das Tempo von der Hinfahrt konnte ich nach den bereits absolvierten Kilometern und der langen Zeit auf dem Rückweg nicht mehr halten. Die letzten 400km wurden zunehmend anstrengender. Die Prise Wind kam immer noch aus Nordost und damit meistens entgegen. Das war zwar nicht viel, aber wenn man mal ein Stück Richtung Süden oder Südosten fuhr merkte man deutlich wie diese Prise doch anschieben konnte.
So verging der Tag recht schnell. Ich hatte tolle Erlebnisse an den Kontrollen. Überall standen Menschen am Straßenrand und feuerten mich an. Verpflegungsstände waren aufgebaut wo sich Trauben von Radfahrern sammelten. Die Dörfer waren geschmückt mit allen möglichen Arten von Fahrrädern. Von riesig groß bis klein. Neu und alt. Irgendwie wurde überall was gemacht. Hier merkte man schon, dass die Franzosen eine ganz andere Beziehung zum Fahrrad haben als die Deutschen. Auch wenn es nur Nebenstraßen waren die wir befahren haben, ich habe nicht einmal erlebt das mich jemand an hupt oder schneidet. Es war ganz sicher oft so dass die Autofahrer einiges an Geduld brauchten durch die Massen an Radfahrern. Je später der Tag wurde desto langsamer erschienen mir die Entgegenkommenden. Die Gesichter wurden leerer und auch die Art zu treten sah nicht mehr so richtig rund aus. Ich sah Leute die eine Stunde nach mir gestartet waren und mir jetzt erst entgegen kamen, ich hatte schon über 800km weg. Da rechnet man dann schon mal grob nach, wann die in etwa wieder ankommen werden. Es ist ganz sicher auch für mich eine Art Schinderei, aber sich über doppelt so lange schinden auf derselben Strecke ? Sie haben auf alle Fälle meinen höchsten Respekt !
Fougeres war dann die erste Kontrolle wieder im Finsteren. Ab hier wurde es wieder deutlich ruhiger, aber nur was die entgegenkommenden Fahrer anging. Das Interesse an mir nahm deutlich zu und ich hatte das Gefühl als eilte mir der Ruf so langsam vor raus. Hier war auch die einzige Station wo ich mal ein belegtes Baguette kaufen konnte. Leider war ich so in Gedanken dass ich nur eins kaufte. So langsam konnte ich die Croissants und Bananen nicht mehr sehen. Das Ganze war aber auch deswegen etwas fatal, als sich herausstellte das am nächsten Kontrollpunkt sämtliches Essen ausverkauft war. Mit Mühe und Not reichte es aber dennoch. Ein paar Gels waren noch übrig, ein sehr trockenes Brötchen aus Brest und eine Cola. Mit der Müdigkeit hatte ich auch in der zweiten Nacht keine Probleme. Nicht ein einziges Mal hatte ich das Gefühl einen Sekundenschlaf zu haben oder unaufmerksam zu sein. Wie letztes Jahr beim 1000er Brevet Red Bull trinken ging hier nicht, da es keines unterwegs zu kaufen gab. Einzig ein paar Gels hatten etwas Koffein, welche ich mir extra für die zweite Nacht aufgehoben hatte. Ob diese es allerdings am Ende gebracht haben ? Ich werde es nie erfahren. Zur Vorsicht bin ich dennoch fast die ganze Nacht in der Mitte der Straße gefahren. Zum einen war dort der Belag meist nicht so rau und sollte ich doch mal unkonzentriert sein so ist es etwas weiter bis zum Straßengraben, dachte ich mir. Aber wahrscheinlich hatte ich ordentlich viel Adrenalin in mir, was mich wach und konzentriert hielt. Da nachts nur noch das Führungsfahrzeug in einiger Entfernung fuhr und kein Motorrad mehr da war, wusste ich leider nicht mehr wie viel Vorsprung ich hatte. Immer wieder drehte ich mich um, aber Lichter waren nirgends zu entdecken. Nur ab und an kam mal ein Auto vorbei, aber deren Lichter erkannte man schnell.
Weit vor Dreux, der letzten Kontrolle, brach langsam der zweite Morgen heran. Es wurde mit 8°C recht frisch und ich überlegte hier das einzige Mal meine Windjacke anzuziehen. Jedoch, dachte ich mir, spar Dir lieber die Zeit. Lange kann es nicht dauern bis die Sonne wärmt. So biss ich die Zähne zusammen und versuchte die Kälte zu ignorieren so gut es ging. So langsam wurde mir bewusst in was für einer Zeit ich das Velodrom erreichen konnte und das, wie es aussah, als Erster. Man denkt ja vorher schon viel darüber nach, was und wie es werden könnte. Dass ich das aber alleine schaffen könnte, nein sowas hatte ich für ausgeschlossen gehalten. Es ist ja nicht so, dass die anderen nicht Rad fahren können. Immer wieder drehte ich mich um, wenn die Straße weit einsehbar war, weil die Angst da war, Sie könnten mich ja doch noch einholen. Nun, ab jetzt sah ich wieder Radfahrer. Aber es waren eindeutig Halluzinationen. So was hatte ich vorher noch nie erlebt. Drehte ich mich um sah ich zwei weiße Radfahrer. 10 Sekunden später war es nur noch ein Grüner. Wahrscheinlich war es aber in Wirklichkeit nur ein Schild oder Pfosten. So ging das die ganze restliche Zeit bis ins Ziel. In der Kälte musste ich ab und an noch mal anhalten um Wasser weg zu schaffen, dabei konnte ich dann in Ruhe nachsehen. Radfahrer waren aber in jedem Falle nicht zu sehen. Das beruhigte mich ungemein. In Dreux nach einem endlosen Marsch zur Stempelstelle, dort noch den vorletzten Stempel holen ( den letzten gibt es im Velodrom ) und noch mal zwei Schokoladencroissants, auch wenn ich diese wirklich nicht mehr ersehen konnte. Trotz dass ich hier viel zu zeitig eintraf, die Kontrolle würde normalerweise erst zwei Stunden später aufmachen, jubelte man mir wieder zu. Schnell war ich wieder auf dem Rad und nahm die letzten 64km unter die Räder. Diese verliefen meist flach ( die einzigen flachen auf der ganzen Strecke ) auf abgelegenen Straßen durch die Vororte von Paris. Das Führungsfahrzeug immer vorn weg. Je näher wir dem Ziel kamen, desto mehr hielt es mir die Straße frei. Ich war wieder voll bei der Sache, es war wieder warm, kurzum es rollte gut dahin. Immer wieder jetzt Passanden am Straßenrand und Radfahrer die ungläubig auf die Uhr schauten und jetzt noch keinen Heimkehrer erwarteten. Jetzt geht einem langsam alles Mögliche durch den Kopf was noch passieren könnte. Hoffentlich keine Panne, egal was, halte durch. Dann kam endlich das erste Schild, noch 10km bis ins Ziel. Noch ein paar letzte Kreisverkehre und Ampeln, überall wurde ich durch gewunken. Zum Schluss noch etwa fünf Kilometer durch einen Sportpark, die sich aber ewig lang hingezogen haben.
Und dann steht es da, das Velodrom. Das Ziel davor etwas klein und unspektakulär. Dafür aber jede Menge Leute, Fernsehen und Fotografen. Alle jubeln mir zu. Ich rolle auf dem riesigen Platz davor zu einem einzelnen Absperrgitter und lehne mein Rad dort an. Das erste was ich mache ist mir die Schuhe auszuziehen, wie habe ich mich seit Stunden darauf gefreut. Es kommen einige Leute angerannt, gratulieren mir und machen Fotos. Jetzt muss ich nur noch ins Velodrom, den letzten Stempel holen und das Heft abgeben. In aller Ruhe geht es hinein. Es ist etwas verlassen um diese Zeit, kein Vergleich zu den vergangenen Tagen, wo Tausende hier drin waren. Gratulationen hier von den wenigen freiwilligen Helfern die um diese Zeit schon da sind. In Ruhe hole ich mir mein Essen, setze mich hin und mache erst mal nichts. Seit 42 Stunden und 26 Minuten endlich wieder Zeit zu haben. Nicht weiter zu müssen, ein herrliches Gefühl. Ein älterer, gebürtiger Engländer setzt sich zu mir. Wir plaudern eine ganze Weile über alles Mögliche. Nebenbei esse ich, Nudeln mit Hühnchen. Das geht runter wie Öl. Als ich fertig bin mit Essen kommen die ersten nachfolgenden Fahrer herein. Ein Plausch hier ein Plausch da, Fotos, Hände schütteln, das ganze Programm. Immer wieder Bewunderung vor mir und die Frage wie das alleine ging oder ob ich nicht doch irgendwo einen Betreuer versteckt habe.
Mit brennenden Händen, Füßen und Hintern eierte ich mit dem Fahrrad danach zum Zeltplatz zurück. Für die 12km brauchte ich tatsächlich eine dreiviertel Stunde, so langsam war ich schon lange nicht mehr unterwegs. „Schnell“ noch duschen, etwas essen und in Ruhe alle eingegangenen Nachrichten im Handy lesen, so mein Plan. Daraus wurde im bequemen Campingstuhl leider nichts mehr. Nach 56 Stunden ohne Schlaf forderte den mein Körper unweigerlich ein. Ich schaffte es gerade noch so in meinen Schlafsack in dem ich glücklich und zufrieden einschlief.
Paris - Brest - Paris, es war eine fantastische Veranstaltung. Hervorragend organisiert. Es gab hier keine Nachlässigkeiten, einmal den falschen Eingang benutzt egal wo - sofort wurde man auf den richtigen Weg gewiesen, es passte einfach alles. Die Strecke, super ausgewiesen, permanent wellig - für mich ein Traum. Vielen herzlichen Dank dafür !!!